Hier ein oft geführtes Gespräch in meiner Ordination:
„Frau Doktor, ich leide schon seit mehreren Monaten unter diesem lästigen Tennisellbogen/Golferellbogen/Fersensporn…… Ich habe schon mehrere Ärzte aufgesucht und Methoden probiert – nichts hat geholfen. Außerdem habe ich bereits viel Geld dafür ausgegeben. Ich will, dass endlich mal etwas wirkt.“
Wir kennen sie alle, viele von uns haben sie schon gehabt und manche leiden dauerhaft darunter:
Die chronische Ansatztendinose – sprich:
- Tennis- oder Golferellbogen
- Schleimbeutelentzündung der Hüfte (eigentlich eine Ansatztendinose der Glutealmuskulatur)
- Fersensporn
- Rotatorenmanschetteneinrisse im Schulterbereich etc.….. die Liste ist lang.
Sehnenansatztendinose – was ist das?
Ansatz- ( oder Insertions-) Tendinose beinhaltet den medizinischen Begriff „Tendinose“, welcher besagt, dass die Sehne (medizinisch „Tendo“) krankhaft verändert ist, also nicht mehr so aussieht und funktioniert wie sie eigentlich sollte.
Ansatztendinosen können überall im Körper vorkommen, wo ein Muskel über seinen sehnigen Ansatz am Knochen fixiert ist (med. „inseriert“).
Weniger bekannte Lokalisationen von Ansatztendinosen sind beispielsweise Querfortsätze einzelner Wirbel, was zu erheblichen Rückenbeschwerden führen kann.
Häufig sehe ich dieses Krankheitsbild im Bereich der Hüftmuskulatur, wo die Beschwerden zum Teil ungerechtfertigt einer beginnenden Hüftgelenksarthrose zugeordnet werden.
„untypische“ Lokalisationen von Ansatztendinosen findet man im Bereich der Hüftmuskulatur sowie der Querfortsätze von Wirbelkörpern, dies kann zu chronischen Beschwerden von Hüfte und Rücken führen
Gesunde Sehnen sind schlank und bestehen aus Bündeln von Kollagenfasern, die dicht beieinander liegen und haben ein glattes weißlich glänzendes Erscheinungsbild. Genauso geordnet gehen sie dann im Ansatzbereich in die Knochenmatrix über.
Erkrankte Sehnen verdicken sich als ersten Schritt. Die Kollagenfasern sind nicht mehr geordnet nebeneinander sondern werden unstrukturierter- „verfilzter“. Zunehmend kommt es dann zu kleinen Mikrorissen, welche sich mit der Zeit zu größeren Rissen innerhalb der Sehne entwickeln können. Der Versuch des Körpers, die Sehne behelfsweise zu reparieren, ist der, dass er kleine Blutgefäße einsprossen lässt. Mit diesen werden aber auch Schmerzbotenstoffe in die Sehne transportiert und die Widerstandsfähigkeit der Sehne sinkt mit zunehmendem Maß an Gefäßeinsprossung.
Das heißt mehr Blutgefäße = schlechtere Sehnenqualität. Dies führt zu einer Art „Entzündung“ der Sehne zum s.g. „reaktiven Reizzustand“.
Im schlimmsten Fall kann diese Entwicklung zum Sehnenriss führen. Oft geht einem Sehnenriss schon eine lange Entwicklungsgeschichte einer geschädigten Sehne voraus, ohne dass man dies gezielt beachtet hat.
Die Erfahrung hat gezeigt, dass die meisten Sehnenansatztendinosen im Ultraschall zum Teil auch bei ausgeprägter Beschwerdesymptomatik eine gesunde Struktur zeigen. Ein gutes Zeichen ist auch, wenn die Symptomatik bei sportlicher Betätigung tendenziell besser wird. Das spricht für ein gutes Regenerationsvermögen und diese Sehne lässt sich in der Regel gut behandeln.
links eine gesunde Sehne im Ansatzbereich, schlank mit parallel gerichteten Fasern, rechts im Vergleich eine krankhaft verdickte Sehne mit Gefäßeinsprossung und vielen kleinen Mikrorissen
Entstehung der Tendinose
Beginnen wir mit der gängigen Erklärung, auf die man bei der Internetrecherche am häufigsten stößt:
Sehnenentzündungen entstehen durch Überlastung, vor allem dann, wenn man nach einer Belastung, z.B. einer Sporteinheit, nicht die nötige Regenerationszeit einhält.
Das heißt nicht, dass man prinzipiell auf Sport verzichten sollte! Im Gegenteil! Hält man nämlich die Regenerationszeit ein, geht die Sehne GESTÄRKT hervor und kann so wunderbar allen möglichen Belastungen standhalten. Ergo für die Sehnengesundheit ist ein gesundes Maß an Sport mit ausreichender Regenerationszeit unumgänglich!
Was macht man, wenn man die nötige Regenerationszeit nach dem Sport einhält und es sich dennoch nicht bessert oder wenn man sowieso keinen Sport macht und trotzdem an einer Ansatztendinose leidet?
Gute Frage! Daher weiterfolgend zu den Ursachen, die man bei der Internetrecherche nicht so leicht findet und wo es meiner Meinung nach dringend Aufklärungsbedarf gibt.
1. Bewegungsmangel
Die Sehnenfasern sind von Natur aus wenig durchblutet. Sie müssen daher durch die Flüssigkeit in den Sehnenscheiden mit Nährstoffen versorgt werden. Das geschieht bei Bewegung, die eine Art Pumpeffekt auslöst und die Sehnen mit frischer Flüssigkeit umspült.
Wenn man keine regelmäßige Bewegung macht und die Sehnen nicht adäquat genutzt werden, schwächen Sehnen und ihre dazugehörigen Muskeln automatisch ab, das heißt, sie bauen immer mehr ab und es können daher normale Belastungen schon zu Überlastungen führen.
Daher nochmal weil es einfach so wichtig ist: regelmäßige Bewegung mit ausreichend Regenerationszeiten ist unabdingbar für unsere körperliche (und auch seelische) Gesundheit.
Wie Zähneputzen! Muss man regelmäßig machen, sonst gibt es Karies, beim einen mehr beim anderen weniger (Das ist eine Anspielung auf unsere Genetik…aber dazu gibt es vielleicht gesondert einen Blogbeitrag).
Besonders schlimm ist es, wenn eine Couchpotato sich von einem Tag auf den anderen entschließt nach langer Inaktivität 2 Stunden laufen oder Tennis spielen zu gehen. Das kann gut gehen. Das kann jedoch durch die plötzliche Überlastung zu einer Sehnenverletzung führen, an der man längere Zeit zu leiden hat.
Daraus den Schluss zu ziehen „Sport ist Mord, ich hab´s ja immer gewusst“ wäre grundlegend falsch.
2. Der Mikronährstoffhaushalt
Angenommen, man macht alles „richtig“. Man sportelt 2-3x pro Woche eine Stunde, isst gesund, hält die Regenerationszeiten ein und trotzdem geht der blöde Tennisellbogen nicht weg!
Hier lohnt es sich einen Blick auf unseren Mikronährstoffhaushalt zu werfen. Sehr oft steckt ein Magnesium-, manchmal auch ein Calciummangel hinter chronischen nicht besser werdenden Beschwerden.
„Aber wie kommt der zustande, ich ernähre mich ja vollwertig“
Diese Frage ist sehr berechtigt und lässt mich dann gerne weiter in die Biochemie des Menschen tauchen UND! in unsere Genetik.
Es gibt Menschen, die verfügen z.B über einen sehr fleißigen Magnesiumtransporter im Darm. Da brauchen nur ab und zu ein paar Magnesiummoleküle vorbeischwimmen und er sammelt diese ein und stellt sie dem Körper zur Verfügung.
Andere wiederrum haben aus genetischen Gründen einen faulen Magnesiumtransporter von der Mama oder vom Papa oder der Oma vererbt bekommen. Den muss man mit ausreichend Magnesiummengen schon etwas mehr motivieren, dass er in die Gänge kommt.
Das gleiche lässt sich auf sämtliche andere Mikronährstoffe umlegen.
ODER: Es besteht ein gesteigerter Magnesiumverbrauch; sprich: Man arbeitet 60-80 Stunden pro Woche und damit meine ich nicht nur die Top Manager unter uns. Damit ist auch die Teilzeitkraft gemeint, die zu Hause die Kinder versorgt und sich um die Angehörigen kümmert.
Oder der 40 Stunden Bürojob, den man macht, der unbezahlte Überstunden einfordert und wo man seit 20 Jahren den launenhaften Chef und die unmotivierten Kollegen aushalten muss.
Das macht Stress und Stress verbraucht neben vielen anderen Mikronährstoffen besonders gern Magnesium.
Um „runterzukommen“ gönnt man sich verständlicherweise abends seine paar Gläschen und um tagsüber hochzukommen seine 5-6 Kaffees. Das verbraucht leider alles Unmengen an Magnesium. Alkohol und Koffein schwemmen viele wertvolle Mikronährstoffe vermehrt über die Niere aus, die wir so dringend zur Regeneration, besonders der Sehnenregeneration, brauchen.
Und hier liebe Leserschaft in diesem Zusammenhang noch ein sehr wahrer weiterer Grundsatz:
„Never underestimate your emotional baggage“
„Unterschätze nicht deine emotionalen Altlasten“
Das heißt, geh sie an, deine emotionalen Baustellen!
Vorsicht, ich bin die letzte, die sagt: „Diese Beschwerden sind psychisch bedingt.“ Mit diesem Zugang sind schon unzählig viele behandelbare Diagnosen nicht gestellt worden – wie unsagbar schade!
Allerdings können emotionale Baustellen und Blockaden maßgeblich zur Chronifizierung von Schmerzen beitragen. Alles was auf die Stimmung drückt, senkt die Schmerzschwelle. Das heißt auch, dass sämtliche medizin. Maßnahmen inklusive Schmerzmittel dadurch gegebenenfalls weniger wirken. Gerade bei chronifizierten Beschwerden lohnt sich der ehrliche Blick auf den eigenen emotionalen Zustand. Glücklicherweise ist die Psychotherapie und das Coaching heute in der Gesellschaft schon wesentlich akzeptierter als früher und ein unsagbar wichtiges Tool bei chron. Schmerzen. (Ja, auch Ansatztendinosen!)
Psychische Gesundheit und körperliches Wohlergehen gehen einfach Hand in Hand.
Ach ja, das war übrigens Punkt Nr. 3 😉
Das verrate ich absichtlich erst jetzt, denn meist, wenn ich als Ärztin die Psyche anspreche, gehen viele PatientInnen -verständlicherweise- erstmal in Abwehrhaltung.
4. Der Magen-Darm-Trakt
Zitate von unzähligen Patient*innen, die eigentlich wegen der Sehnenansatztendinose zu mir gekommen sind:
„Ich hatte immer schon eine schwache Verdauung“
„Der Darm ist mein geringstes Problem“ (Patient mit jahrelang anhaltenden Durchfällen und chronischen Darmproblemen)
„Schmerzmittel vertrage ich schlecht, die schlagen mir extrem auf den Magen“
Warum ist der Verdauungstrakt so wichtig?
Ganz einfach: Im Magen-Darm-Trakt wird unsere Nahrung verarbeitet und alle Nährstoffe wie Vitamine und Spurenelemente, die wir zum täglichen Leben brauchen, aufgenommen. Wie wichtig diese für unsere Sehnengesundheit sind, habe ich in Punkt 2 schon ausführlich erläutert.
Außerdem beeinflusst der Darm wesentlich unsere Psyche und verfügt sogar über ein eigenes Nervensystem, welches mit unserem Gehirn kommuniziert. Auch eine Reihe von Botenstoffen werden vom Darm produziert.
Ein kranker Darm nimmt zu wenig Mikronährstoffe auf. Diese werden dann genutzt um die überlebenswichtigen Organe zu versorgen.
Wer bleibt gerne über? Der Bewegungsapparat! Wer steht am Ende der Nahrungskette? Genau! Die Sehnenansätze.
Daher gilt:
Der Verdauungstrakt ist der Beginn der Gesundheit.
Selbstgekochtes und verträgliches Essen der beste Arzt.
Erst dann komme ich – die Ärztin – mit meinen Methoden. Nicht vorher.
Das heißt, die unangenehme Wahrheit ist, dass die liebe Ansatztendinose oft nur die Spitze eines Eisberges ist und vorher viele Hebel in Bewegung gesetzt werden müssen um letztendlich eine Besserung zu erreichen.
5. Die Hormone
Noch so ein chronisch übersehenes Thema: Die Änderung des Hormonhaushalts ca. ab dem 40. Lebensjahr.
Tragende Rolle beim Bewegungsapparat spielt hierbei das Östrogen, welches für die Festigkeit und Gesundheit des Kollagens verantwortlich ist. Mit sinkendem Östrogenspiegel kann es daher vermehrt zu Gelenks- und Sehnenbeschwerden kommen. Das letzte woran man dann oft denkt, sind die Hormone. Nur weil man vielleicht keine Hitzewallungen hat bzw. sie nicht mehr hat, heißt es nicht, dass man hormonell ausreichend versorgt ist. Und ja, ein Hormonmangel kann auch zu Bewegungsapparatschmerzen und zu schlechterer Regeneration führen.
Ich möchte nur kurz auf dieses Thema eingehen, obwohl es gerade beim Bewegungsapparat eine so tragende Rolle spielt. Hier verweise ich gerne auf das Buch „Women on fire“, wo die Autorin Sheila de Liz augenöffnende Wahrheiten über unseren Hormonhaushalt gekonnt zu vermitteln weiß.
Kurz: bitte lesen!
Auch bei Männern kann der mit dem Alter sinkende DHEA Spiegel zu einer ähnlichen Problematik führen. Hier wärmstens zu empfehlen das Buch „Anti-Aging Sprechstunde“ von Alexander Römmler.
Es freut mich sehr in diesem Blog einen Einblick in die spannende Thematik der chronischen Sehnenansatztendinosen geben zu dürfen – und auch eine Erklärung warum die Beschwerden trotz aller Bemühungen oft so lange dauern.
In meiner Ordination sind bei der Anamneseführung die oben genannten Punkte enthalten. Spätestens wenn das Beschwerdebild sich als sehr hartnäckig erweist, blicke ich medizinisch gerne über den Tellerrand und beziehe in meine Behandlung den Darmaufbau sowie das Auffüllen des Mikronährstoffhaushaltes mit ein.
Eine gute Behandlung erfordert dabei stets eine entsprechende Life style Optimierung und geht zumeist mit einer Änderung der Ernährungsgewohnheiten und Etablierung einer gesunden Bewegungs- und Regenerationsroutine einher